Montag, 16. August 2010
Endzeit, Part I
„Das Leben …“ beginnt Eddie und betrachtete dabei den Schatten, den die aufgehende Sonne auf eine Ansammlung von Schrott, den man in besseren Tagen vermutlich einmal als Auto klassifiziert hätte, warf. „Das Leben ist schon ein Witz. Ich meine den ganzen Scheiß - von Anfang bis Ende - einfach nur ein verdammter Witz. Die ganze Evolutionsgeschichte, das Rumgewusel im Wasser, das mühselige ans Land schleppen, das Kreuchen und Fleuchen, Schlüpfen und Zeugen, Fressen und gefressen werden, die Bäume hochklettern, die Bäume wieder runterklettern, auf vier Beinen laufen, auf zwei Beinen laufen, Dinge basteln, Mammuts jagen und vor allem diese Sache mit den Säbelzahntigern … das alles, das alles war schon ein großer Mist, einfach nur riesengroßer …“ Er stutzt, überlegt. Legt den Kopf etwas schief und schaut fragend den grau-gelben Himmel an, nach dem richtigen Begriff suchend. Nicht nur einen passenden, sondern den richtigen. „Genau. Unfug.“, stellt er zufrieden fest. „Unfug. Unfug. Unfug. Und alles, was danach kam, war noch viel größerer Unfug.“
Er seufzt. Bemerkt, wie seine Beine nervös gegen das Hochhaus baumeln, auf dessen oberster Kante er sitzt. Die Tiefe bemerkt er fast nicht. Eddie stützt sich auf seine Hände, streckt seine Arme und drückt sich nach oben.
„Freiheit.“ Eddie reckt den Kopf nach oben, der Sonne, dem Himmel entgegen. Er schließt die Augen. „Freiheit. So viel mehr als nur ein Wort. Was ist daraus nur geworden? Was ist aus uns geworden? Was haben wir nur getan? Was habe ich getan?“ Eddie weiß genau, dass es nicht seine Schuld ist. Zumindest nicht im Wesentlichen. Er hat seinen Part geleistet, wie jeder andere Mensch der zivilisierten Welt (Wie bitter dieser Begriff nun auf der Zunge schmeckt!) auch. Doch das genügt. Es genügte, um es geschehen zu lassen und es genügt für Eddies Schuldgefühle. Zu Recht? Hätte es irgendeine Möglichkeit gegeben, nicht daran beteiligt gewesen zu sein? Klar, er hätte der Zivilisation „Leck mich!“ zurufen und sich irgendeinem verschollenem Indianer-Stamm anschließen können. Bei dem Gedanken, wie er seinem Chef in der Marketingabteilung, dem Oberbürokraten himself, Herrn Schmitt, den nackten Arsch entgegen gereckt und dabei „Don’t worry, be happy“ gesummt hätte, muss er unwillkürlich grinsen. Trotzdem hätte diesen Weg wohl nur ein geistig verwirrter oder ein sehr, sehr mutiger, überzeugter Mensch eingeschlagen. Ein Krieger mit Herz. Eddie war keines von beiden. Eddie war einfach nur ganz normal. Mittlerweile - früher wäre ihm dieser Gedanke zweifellos absurd vorgekommen - ärgerte ihn das. Maßlos.

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